- Leseprobe -

Kapitel 1

Phaelia Belgére von Swabadin wirkte wie ein Spielzeug auf dem reich geschmückten Schlachtross. Ihr Blick schweifte über das Tal, das sich unter ihr erstreckte. Sie sah über die Felder und Wiesen, bis hin zu den Wäldern Kyramiels, die sich dunkel vom Horizont abhoben. Gerade versank die Sonne im satten Grün der Hügel westlich des Tales und unheimliche, lange Schatten griffen über das Land.

Dieser Herbsttag war eisig wie der Tod. Phaelia fröstelte und rieb ihre Hände aneinander, die trotz der festen Handschuhe kalt und steif waren. Sie hörte das Geräusch erst, als der Pfeil haarscharf an ihrem Kopf vorbeizischte. Erschrocken riss Phaelia den Hengst herum. Nur einen winzigen Moment war sie unaufmerksam gewesen - doch auf dem Schlachtfeld konnte das tödlich sein. Schreie von verwundeten und sterbenden Menschen hingen in der Luft. Das Klirren der Schwerter dröhnte in der Dämmerung, vermischt mit den ewig zirrenden Geräuschen der Pfeile. Der Wind trug den Gestank von Blut und Angst mit sich.

Es herrschte Krieg zwischen den Königreichen Jorgadon und Swabadin. Krieg ... immer währender Krieg. Phaelia versuchte Ranaghar Lascon in dem Getümmel aus kämpfenden Menschen auszumachen, während ihr Blick ruhelos über schwerterschwingende Krieger hinwegglitt. Es dauerte lange, aber endlich konnte sie den stämmigen Truppenführer ausfindig machen, der wie festgewachsen im Sattel seines wild tänzelnden Rappen saß. Er hatte einige Krieger um sich versammelt und brüllte lauthals Anweisungen über die Köpfe seiner Kämpfer hinweg.

Als er den Kopf hob und sich ihre Blicke für einen Moment trafen, winkte sie ihn zu sich heran. Er gab seinem Pferd die Sporen und kam in einem leichten Galopp auf sie zu. Sein erhitztes Gesicht hatte einen unbewegten Ausdruck, doch die braunen Augen verrieten die Nervosität in seinem Inneren.

"Die Schlacht läuft nicht gut, Eure Hoheit. Viele unserer Männer sind bereits gefallen, etliche schwer verwundet. Die Jorgadoner sind uns überlegen." Das wettergegerbte Gesicht mit den buschigen Augenbrauen ließ den kräftigen Swabadiner älter aussehen, als er war. Jetzt allerdings wirkte er durch die tiefen Sorgenfalten, die seine Stirn durchfurchten, fast wie ein Greis.

"Wir geben uns nicht geschlagen, Ranaghar! Niemals! Bring mehr Männer an die Westflanke und die Bogenschützen weiter zurück! Was haben sie im Nahkampf verloren?" Phaelia zerrte wütend an den Zügeln, um Herr über ihr widerspenstiges Pferd zu werden. "Die Jorgadoner müssen nach dem langen Marsch und den letzten Kampftagen am Ende sein! Unsere Truppen waren ausgeruht, wir sind in der Überzahl! Wie kann so etwas angehen?"

"Die Jorgadoner haben sich zwischen den Hügeln und dem Fluß formiert. Sie haben zwar keine richtigen Fluchtrouten, aber vermutlich will der Fürst damit den Kampfwillen seiner Männer stärken." Ranaghar ballte seine Faust.

"Warum ist dieser verdammte Jorgadonerfürst überhaupt noch am Leben?!" Phaelias Blick suchte das Schlachtfeld ab. Um sie herum langen hunderte von Toten - Menschen wie Pferde, deren Blut nun den Boden tränkte. Kämpfer stürmten über die Ebene schlugen mit Schwertern aufeinander ein, Pfeile schwirrten durch die Luft.

"Die Jorgadoner nutzen das sumpfige Gelände aus. Sie haben zudem noch Löcher gegraben, die unseren Angriff erheblich erschweren. Sie haben unseren Vortrupp fast vollständig vernichtet und der Haupttrupp schafft es nicht, mit den Pferden, die feindlichen Reihen zu durchbrechen", hörte Phaelia plötzlich eine Stimme hinter sich. Sie drehte den Kopf und blickte direkt in die türkisfarbenen Augen der Sylanfaes. Sie hatte nicht bemerkt, dass die Elfe zu ihnen gestoßen war.

Ranaghar nickte. "Sie töten unsere Pferde, damit wir verwundbarer werden. Und bei allen Mächten ... wenn nicht ein Wunder geschieht, werden wir die Stadt aufgeben müssen."

"Niemals!" Phaelias Augen huschten über Ranaghar, zu Sylnafae und blieben an einem Mann hängen, der etwa zweihundert Schritt von ihr entfernt auf einem großen dunkelbraunen Schlachtpferd saß und wild mit den Armen fuchtelte.

"Da! Da ist er - Jeryth Kalenwer von Jorgadon! Nicht ein einziger Mann bedroht ihn!", zischte Phaelia und deutete mit ihrer Hand in die Richtung.

Rasch hob sie ihre Armbrust. In einer einzigen Bewegung legte sie einen Pfeil ein und spannte die Sehne. Sie zielte nur kurz. Mit einem surrenden Geräusch durchschnitt das tödliche Geschoss die Luft.

Es verfehlte den gegnerischen Fürst um Haaresbreite und fuhr tief in die Brust seines Begleiters. Mit einem Schrei stürzte der Getroffene vom Pferd und blieb reglos liegen.

"Verdammt!" Phaelia fluchte und ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. Sie beobachtete, wie Jeryth vom Pferd sprang und zu seinem Gefolgsmann stürzte. Er schrie etwas und starrte mit verzerrtem Gesicht in alle Richtungen. Phaelia fingerte in ihrem Köcher nach einem weiteren Pfeil, doch bevor sie ihn abschießen konnte, drängten sich einige Kämpfer in die Schusslinie. Jeryth wich ihnen aus und verschwand aus ihrem Blickfeld. Phaelia senkte laut fluchend den Bogen. Da entdeckte sie ihren Vater, der auf sie zugaloppierte. Sein Pferd schnaufte schwer und weißer Schaum tropfte von seinem Maul.

"Phaelia!" Der König zügelte den Rappen. "Bring' deine Männer zum Hügel! Wir brauchen dort mehr Unterst..." Er riss die Arme hoch und presste die Hände an die Brust. Begleitet von einem entsetzlichen Schrei wirbelte sein Körper herum. Durch die abrupte Bewegung verschreckt stieg das Pferd. Der König stürzte mit einem dumpfen Aufprall zu Boden. Ein Pfeil steckte tief in seiner Brust.

"Vater!!!" Phaelia sprang vom Pferd und hetzte zu ihm.

Ranaghar Lascon war sofort an ihrer Seite. Phaelia schlang die Arme um den Hals ihres Vaters. Ranaghar zögerte nicht lange und zog den Pfeil heraus. Der König schrie vor Schmerz - ein Schrei, den Phaelia in ihrem ganzen Leben nie mehr vergessen würde. Sie schluchzte auf.

"Vater!" Sanft strich ihm Phaelia eine Haarsträhne aus der Stirn.

Der König griff nach ihrem Arm. "Hör' mir zu, Kind ..." Er röchelte. "Ich will, dass Du die künftige Königin ... wirst! Vydra ist zu ..." Er hustete. Hellrotes Blut rann aus seinem Mundwinkel, sein Gesicht war vor Schmerz verzerrt.

"Nicht sprechen, Vater! Es wird alles gut ..." Tränen liefen über Phaelias Wangen.

Der König schüttelte den Kopf. "Ich verfüge hiermit ... dass du ... meinen Platz einnimmst. Du wirst unser ... unser Land in meinem Sinne ... weiterregieren!" Ein Hustenanfall schüttelte den Körper. Er stöhnte laut. "Ich habe meinen Letzten Willen schriftlich niedergelegt. Das ... Das Pergament wird von Ranaghar ... an einem ... sicheren Ort verwahrt. Lass nicht zu, dass deine Schwester ..." Die Stimme des Königs war nur noch ein heiseres Flüstern. Ein letztes Mal packte er Ranaghars Arm und sah ihn aus trüben Augen an.

"Ranaghar!", keuchte er. "Hilf Phaelia! Vydra darf niemals an die Macht gelangen! Versprich es mir!"

Der Krieger schluckte schwer. "Ich verspreche es Euch, Majestät!" Ranaghar drückte fest die Hand seines Königs. "Ich verspreche es."

Phaelias Vater stöhnte gequält auf. Seine Glieder erschlafften, die Augen brachen. Als der Kopf zur Seite rollte, war es Gewissheit - der König war tot.

Frameset fehlt? Home